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Zwei Gesichter der Buddhalehre

Zwei Gesichter der Buddhalehre

Summary:

Zwei Gesichter der Buddhalehre

von

Bhikkhu Bodhi

Übersetzung ins Deutsche von:

Lothar Schenk

Alternative Übersetzung: noch keine vorhanden

Beim ersten Zusammentreffen tritt uns der Buddhismus als ein Paradox entgegen. Vom Intellekt her betrachtet erscheint er geradezu wie eine wahre Wonne für einen Freidenker: nüchtern, wirklichkeitsbezogen, undogmatisch, fast wissenschaftlich im Ansatz und von der Methodik. Aber wenn wir mit der lebendigen Buddhalehre vom Inneren her in Berührung gekommen sind, dann entdecken wir bald, dass er eine andere Seite hat, welche das direkte Gegenteil zu unseren rationalistischen Vorannahmen zu sein scheint. Wir treffen zwar immer noch nicht auf starre Glaubenssätze oder wahllose Spekulationen, aber wir treffen auf religiöse Ideale wie Entsagung, Andacht und Hingabe; eine Reihe von Lehraussagen über Dinge, welche die Sinneswahrnehmung und das Denken übersteigen; und — vielleicht am beunruhigendsten — ein Übungsprogramm, in dem gläubiges Vertrauen als Haupttugend dasteht, und Zweifel als Hemmnis, Sperre und Fessel.

Wenn wir unser eigenes Verhältnis zur Buddhalehre zu bestimmen versuchen, finden wir uns letzten Endes vor der Herausforderung, aus diesen beiden scheinbar nicht miteinander zu vereinbarenden Gesichtern schlau zu werden: das zur Welt gewandte Gesicht des Empirikers, welches uns auffordert, alle Dinge zu untersuchen und selbst auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, und das zum Jenseits hingewandte religiöse Gesicht, welches uns rät, unsere Zweifel zu zerstreuen und dem erhabenen Lehrer und seiner Lehre Vertrauen zu schenken.

Eine Möglichkeit, diesen Zwiespalt aufzulösen, besteht darin, nur ein Gesicht der Buddhalehre als echt anzuerkennen und das andere als aufgesetzt oder überflüssig zu verwerfen. Auf diese Weise können wir entweder, in Übereinstimmung mit dem traditionellen buddhistischen Pietismus, uns die religiöse Seite aus Hingabe und gläubigem Zutrauen zu eigen machen, aber vor der eigensinnigen Weltsicht und der Aufgabe kritischen Hinterfragens zurückscheuen; oder wir können, im Einklang mit modernen buddhistischen Apologeten, die empirische Grundhaltung der Buddhalehre und ihre Ähnlichkeit zur wissenschaftlichen Vorgehensweise preisen, aber beschämt über die religiöse Seite hinwegstolpern. Doch beim Nachdenken darüber, was für eine wirkliche buddhistische Spiritualität nötig ist, wird klar, dass beide Gesichter der Buddhalehre gleichermaßen echt sind, und dass beide berücksichtigt werden müssen. Wenn wir das unterlassen, riskieren wir nicht nur, uns eine schiefe Betrachtungsweise der Lehre anzueignen, sondern unser eigenes Engagement mit der Buddhalehre läuft Gefahr, durch einseitige Vorlieben und widersprüchliche Haltungen beeinträchtigt zu werden.

Jedoch bleibt die Schwierigkeit bestehen, die zwei Gesichter der Buddhalehre miteinander in Einklang zu bringen, ohne im Selbstwiderspruch stecken zu bleiben. Der Schlüssel, so schlagen wir vor, um diese Zusammenführung zu erreichen und dadurch die innere Stimmigkeit unserer eigenen Sicht und Lehrausübung sicherzustellen, liegt darin, zwei grundlegende Dinge zu betrachten: zum einen, das angestrebte Ziel der Buddhalehre; und zum anderen, die Strategie die Vorgehensweise mit der dieses Ziel erreicht werden soll. Das Ziel ist es, die Befreiung vom Leiden zu erlangen. Die Buddhalehre bezweckt nicht, uns mit Tatsachenwissen über die Welt auszustatten, und daher unterscheiden sich, trotz ihrer Vereinbarkeit mit der Wissenschaft, ihre Ziele und Anliegen notwendigerweise von denen der letzteren. In erster Linie und dem Grunde nach ist die Buddhalehre ein Weg zur spirituellen Weiterentwicklung, zur Befreiung aus dem wiederholten Kreislauf von Geburt, Tod und Leiden. Mit dem Anspruch, für uns das unersetzliche Mittel zur Erlösung zu sein, erstrebt die Buddhalehre nicht einfach nur intellektuelle Zustimmung, sondern erfordert eine dem Wesen nach zutiefst religiöse Erwiderung. Sie spricht uns in unserem innersten Seinsgrund an und erweckt dort in einem Umfang unser Vertrauen, unsere Hingabe und unser Engagement, der vollkommen dem Umstand angemessen ist, dass es um das endgültige Ziel unserer gesamten Existenz geht.

Im Buddhismus sind Vertrauen und Hingabe aber nur der Ansporn dafür, den Weg zu betreten und ihm mit Ausdauer zu folgen; für sich alleine sind sie kein Garant für die Erlösung. Die Hauptursache von Fesselung und Leiden, so lehrt der Buddha, ist die Unkenntnis hinsichtlich der wahren Natur des Daseins; folglich muss in der buddhistischen Befreiungsstrategie das Hauptwerkzeug die Weisheit sein, das Wissen und die Einsicht, wie die Dinge wirklich sind. Nachforschen und kritisches Hinterfragen, gelassen und ohne Vorurteil, stellen den ersten Schritt in Richtung Weisheit dar, denn sie erlauben es uns, unsere Zweifel aufzulösen und eine gedankliche Vorstellung der Wahrheiten zu gewinnen, von denen unsere Erlösung abhängt. Aber Zweifel und Fragen können nicht unbegrenzt andauern. Haben wir uns erst einmal entschieden, dass die Buddhalehre unser Beförderungsmittel zur geistigen Freiheit sein soll, dann müssen wir auch an Bord kommen: wir müssen unser Zögern hinter uns lassen und den Übungsweg beschreiten, der uns vom gläubigen Vertrauen zur befreienden Schau bringt.

Denjenigen, die bei der Buddhalehre nach intellektueller oder emotionaler Befriedigung suchen, wird sie unweigerlich zwei Gesichter zeigen, und eines davon wird immer ein Rätsel bleiben. Sind wir aber bereit, uns der Buddhalehre zu ihren eigenen Bedingungen zu nähern, als Mittel zur Befreiung vom Leiden, dann wird es gar keine zwei Gesichter geben. Stattdessen werden wir erkennen, was von Anfang an da war: das eine Gesicht der Buddhalehre, das, wie jedes Gesicht, zwei sich ergänzende Seiten aufweist.


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de/lib/authors/bodhi/bps-essay_02.txt · Zuletzt geändert: 2021/04/18 11:02 von Johann